Recht auf Faulheit
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Podiumsdiskussion
in der Volksbühne am 20. Mai 2001

In der ersten Runde hatten alle auf dem Podium Sitzenden - Gerburg Treusch-Dieter als Moderatorin, Oskar Negt, Rene Talbot, Guillaume Paoli, Alexander Meschnig, Michael Jäger und Dirk Bartsch - Gelegenheit, ihre Position zusammenzufassen und zuzuspitzen. Treusch-Dieter rekonstruierte einleitend die Bahn des Problems: Dem Verlust der Arbeit wird das Recht auf Arbeit und diesem das Recht auf Faulheit entgegengesetzt; wo, auf dieser Bahn, kommt es zur Transzendierung der Arbeitsgesellschaft? Aber kann Faulheit überhaupt als Recht verhandelt werden? Oder ist sie nicht das, was sich jedem Rechtssystem entzieht? Wäre dann sie, nur sie das Transzendierende?

Als Rechtssache erscheint jedenfalls die Arbeit, denn wie man bei Hegel und schon in der Genesis nachlesen kann, ist im modernen Arbeitsbegriff »ein nicht vollstreckten Todesurteil vorausgesetzt«. Aber auch der »Dienst«, zu dem Arbeit in der Dienstleistungsgesellschaft wird, steht immer noch unter dem Fluch — so sehr, dass ihm nun sogar »der Arbeitsschweiß missgönnt ist« -: Treusch-Dieter charakterisierte ihn als ein »Warten« in der Doppelbedeutung »des Etwas Wartens und des Auf etwas Wartens«.

Anschließend forderte Negt »eine Ökonomie, die dem Begriff Ökonomie gerecht wird«, das heißt eine sparsame (»zweite«) Ökonomie. Die vorhandene (»erste«) sei verschwenderisch, da sie für die gigantischen Folgekosten der Arbeitslosigkeit aufkommen müsse, angefangene Projekte nicht vervollständige. Armutsviertel kriminalisiere und auch da wieder teure Gegenmaßnahmen zu bezahlen habe. Das alles sei »kostenaufwendiger, als es der Vorgriff auf eine menschlichere Entwicklung wäre«.

Talbot verlas noch einmal die drei Argumente, die für das Recht auf Faulheit sprechen, aus der Proklamation des Jahrhunderts der Parasiten. Paoli unterstrich noch einmal, dass Arbeitslose nicht unglücklich sein müssen. Wenn sie aber »zum Angstabbau beitragen«, seien sie gesellschaftlich nützlich und v er dienten schon dafür Arbeitslosengeld. Meschnig wies auf das Problem der »Vermischung der Begriffe« hin. Auf kritische, alternative Werte wie eigener Lebensentwurf, Selbstbestimmung, Emanzipation berufen sich heute verbal auch die Pioniere der New Economy, und das Internet wird quasi als Kommunismus gefeiert, weil in ihm Kommunikation frei getauscht werden kann.

»Wie können wir neue Begriffe schaffen, um das Unterscheidende zu definieren?« Jäger war aufgefallen, dass in vielen Veranstaltungen des Themenwochenendes ein "Zusammenhang von Arbeitsgesellschaft und Christentum hergestellt worden war, wobei jedoch unklar geblieben sei, ob die Arbeitsgesellschaft das Christentum eher vollstrecke oder eher pervertiere. Aber selbst mit der zweiten Möglichkeit sei noch kein Wider standspotential gewonnen, denn weithin werde geargwöhnt, Christentum sei vor allem die Kunst des Sterbenlernens; da verbünde man sich denn doch lieber mit dem lebenssprühenden, wenn auch die Arbeit vorschreibenden Kapitalismus. Bartsch wies sowohl die kapitalistische als auch die kapitalismuskritische Instrumentalisierung des Christentums zurück. Aus der Bibel lasse sich aber ableiten, dass Starke verpflichtet sind, für Schwache zu sorgen.

Auf Treusch-Dieters Frage, ob die Geschichte von Maria und Maria nicht bereits vom Gegensatz der Arbeits- und Nicht-Arbeits-Orientierung handle — während Maria »in der Küche schuftet«, »lagert Maria zu Füßen des Herrn« -, antwortete er, auch Maria sei Arbeiterin, aber sie stehe für ein bewusstes Arbeiten, das eben nur aus dem »sich lagern«', dem Gebet entspringen könne. Damit hatte Treusch-Dieter das Stichwort, zur zweiten Runde überzuleiten.


TREUSCH-DIETER: Marta und Maria — zwei Frauen! —, sind das also zwei Seiten einer Medaille? Ja, stützt nicht auch Maria, indem sie in der hörigen Position verbleibt, die Arbeitsgesellschaft des Kapitals? Tatsächlich scheint mir, dass »Faulheit« als das Faule im doppelten Wortsinn engstens mit dem Weiblichen liiert ist. Im »Faulen« steckt Ekel vor dem Fleisch und Abwehr von allem, was sich nicht in dinglich-verfestigte Form bringen lässt. Aber während das Überfließen der Frau, ihre Gabe, Leben zu geben, den Ekel weckt, wird das Überfließen des Mannes, sein Sperma, symbolisch in Geld übersetzt. Wenn nun Faulheit und Arbeitsfleiß unterschieden werden, wo für Faulheit auch Krankheit und Wahnsinn stehen können - es ist eine Dichotomie, die unsere Kultur weit über das Christentum hinaus durchzieht -, dann ist das Männliche mit Geld und Arbeitsfleiß konnotiert, das Weibliche aber mit Faulheit und Fäulnis. Was sagen die Herren dazu? Wie wollen sie denn glaubhaft machen, dass es ihnen um Faulheit ginge?

TALBOT: Der Zusammenhang von Frau und Faulheit leuchtet mir nicht ein, wenn ich nur an die Frauen in der Bundeswehr denke. Nein, nutzen wir doch die Gelegenheit, Oskar Negt zu fragen, was er von der Möglichkeit hält, nicht »arbeiten wollen« zu müssen! Er ist ja glücklicherweise hergekommen, während die IG Metall, die angeblich tabulos über das Recht auf Faulheit diskutieren wollte, ihre Teilnahme an unserer Veranstaltung abgesagt hat. Die Gewerkschaften sind gar nicht irritiert, wie Negt sagte, es ist umgekehrt, sie selbst irritieren.

NEGT: Ich glaube, dass die Menschen bis in die moderne Zeit hinein nicht gern gearbeitet haben.

PAOLI: Aha, aha!

NEGT: Das zeigt sich schon an den Begriffen. Arbeit heißt im Griechischen »ponos«, damit hängt noch unser Wort »Pein« zusammen. Arbeit war Sache derer, die es nötig hatten — sei es dass sie für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten oder dass ein Herr sie zur Arbeit zwang. Das lateinische »labor« bedeutet »schwanken« zwischen zwei Lasten, auch kein sehr glückversprechender Ausdruck. Nur Sklavensache? Luther hat einmal gesagt: der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen. Und der Protestantismus, den Max Weber analysiert, zeigt, wie weit das verinnerlicht wurde während einer ganzen Epoche. Deshalb antworte ich auf Ihre Frage: Ich persönlich bin für eine Grundsicherung.

TALBOT: Bedingungslos? Aufregung im Publikum

NEGT: Aber was nennen Sie die Bedingung? Für jeden Menschen eine Grundsicherung!

FRAU AUS DEM PUBLIKUM: das gewährt aber nur die Sozialhilfe -

TALBOT: - nie ohne Arbeitsbereitschaft!

DIE FRAU: Im Grundsicherungsgesetz ist die heutige Sozialhilfe als Grundlage genommen und das sind derzeit 570 Mark und —

NEGT: Ja. Also: ich bin für eine Grundsicherung —

STIMMEN: Die ausreicht! Ohne den Beweis der Arbeitsbereitschaft!

NEGT: Ja! - eine Grundsicherung für alle Menschen, weil das wahrscheinlich sowieso nicht viel teuer ist als das, was gegenwärtig geschieht. Aus schlicht ökonomischen Gründen wäre das kein Problem. Warum ist es denn ein Problem? Und, ich meine, erlauben Sie mir, dass ich mir ein paar mehr Probleme mache als Sie sie haben. Was Sie sagen, trifft nicht die gesellschaftliche Situation! Denn unter den von Max Weber analysierten Bedingungen wird Arbeit zu einem wesentlichen Element des Kampfes um Anerkennung.

In der bürgerlichen Gesellschaft ist Arbeit zum ersten Mal zu einem Identitätsmerkmal auch der herrschenden Klassen geworden. Nicht nur bei Hegel; Hegel hat es nur sehr gut begriffen. In dieser Epoche ist das kulturelle Klima darauf gerichtet, dass der Kampf um Anerkennung im Medium der Arbeit, und zwar der Erwerbsarbeit ausgefochten wird. Daran ändert auch eine Grundsicherung nichts. Ich befürworte sie, denn sie soll ein einigermaßen würdiges Leben gestatten, indem sie erstens die Kosten reduziert und zweitens die Angst.

Die zerstörerischen Tendenzen unserer Gesellschaft haben mit dieser Angst zu tun, die der Herrschaft noch mehr Kraft gibt, als sie schon ohnehin hat. Aber täuschen wir uns doch nicht darüber, dass nicht nur die Unternehmer von Arbeit reden, sondern auch die Arbeitslosen. Dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, ich habe selber welche gemacht. Arbeitslose negieren den Arbeitsbegriff nicht, es kommt nur zu Verschiebungen. Der erste Akt ist, dass die Zeit- und Raumstruktur bei ihnen angeknackst wird. Ihre Identität wird verdreht. Aber dadurch vermittelt bleibt Arbeit doch mit ihrer Lebensgeschichte verbunden. Darauf müssen wir eingehen.

PAOLI: Ich möchte widersprechen.

NEGT: Beziehen Sie sich auf Untersuchungen oder sind Sie aus persönlicher Erfahrung unterrichtet?

PAOLI: Ich wollte nur eine kleine Geschichte erzählen. Sie illustriert, dass Anerkennung heute weniger im Arbeiten als im Konsumieren gesucht wird. Ein Kind, das ich kenne, zehn Jahre alt, sagt neulich zu seiner Mutter: Mama, ich will arbeiten. Ja, wieso willst du denn arbeiten? Na ja, es hat zum Geburtstag ein Handy bekommen und braucht jetzt natürlich Geld, um die Einheiten bezahlen zu können. Schließlich haben alle Kinder in seiner Schulklasse ein Handy! das ist normal! Mit Zehn hat jeder sein Handy! das Taschengeld reicht nicht, deshalb will der Kleine in die Erwerbsarbeit. Ja, aber Kinderarbeit ist in Deutschland verboten, sagt seine Mutter. Er war entsetzt! - Ich glaube, das ist die Logik. »Arbeitsmoral« ist etwas von vorgestern. Das Problem ist eher diese Konsumsucht. Wenn wir Kapitalismus als Religion definieren, also als das Gesellschaftsverbindende - denn Religion kommt von religare, verbinden —, dann müssen wir heute vom verbindenden Konsum sprechen. Und somit von uns. Diese großen Analysen des Kapitalismus, die ihn als System fassen und als Zerstörungswerk böser Menschen, sie vergessen, was wir persönlich damit zu tun haben.

NEGT: Ich habe nicht von bösen Menschen gesprochen!

PAOLI: Aber Sie glauben doch nicht, dass wir nur passive Agenten eines Systems sind!

NEGT: das haben Sie von mir —

PAOLI: das habe ich von Ihnen nicht gehört, aber ich habe mich schon gefragt, wo in der Beschreibung des Gesellschaftssystems ich selbst vorkomme. Ich denke, eine Arbeitskritik muss auch eine Konsumkritik sein - da liegt das Problem.

MESCHNIG: Mir ist auch eine Geschichte eingefallen. Erinnern Sie sich noch an Woody Woodpecker, die alte Walt-Disney-Figur? in einem Comic sitzt sie unter dem Baum und träumt von der Welt, in der man nichts tun muss. In der Comic-Blase sieht Woody eine Stadt vor sich, in der es verboten ist, zu arbeiten. Alles funktioniert! das Problem ist nur, dass es einige Revoluzzer gibt, die arbeiten wollen. Als sie ihre Werkzeuge auspacken, kommt sofort die Polizei und steckt sie ins Gefängnis. Was ich damit sagen will: Ich fürchte, ein von uns erkämpftes Recht auf Faulheit würde sich ziemlich schnell in eine Pflicht zur Faulheit verwandeln, denn die Grundstruktur ist, dass wir - egal, was es ist - an dem gehindert werden, was wir tun wollen.

MANN AUS DEM PUBLIKUM: Es gibt Leute, die von ihrem Achtstundenarbeitstag nicht abstrahieren können. Es ist doch nicht normal —

MESCHNIG: Ich hab" keinen Achtstundentag!

BARTSCH: Ich glaube nicht, dass Arbeitslose - Ausnahmen gibt es offensichtlich - so glücklich sind. Ich weiß aus Untersuchungen, dass sie sehr unter ihrer Situation leiden. Die Frage ist natürlich, was man unter »Arbeit« versteht. Wie weit man den Begriff faßt. Die Identifikation von Arbeit und Erwerbsarbeit führt in die Irre. Es gibt noch ganz andere Arbeiten, in denen Menschen etwas gesellschaftlich Wichtiges und Relevantes tun können. Und dass auch diese Menschen versorgt werden müssen, ist doch völlig klar.

JÄGER: der Begriff der Arbeit selber ist unklar. Und insofern kann ich Negt nicht folgen. Sie immunisieren den Begriff der Arbeit gegen Kritik! in Ihrem Referat sagten Sie, es sei unnütze terminologische Spielerei, wie Dahrendorf zwischen Arbeit und Tätigkeit zu unterscheiden. Ja, wenn beide Ausdrücke dasselbe bezeichnen! Aber wenn sie sich mit der Marxschen Unterscheidung von »abstrakter und konkreter Arbeit« decken, ist die Unterscheidung nicht unnütz. »Abstrakte Arbeit« ist Arbeit um der Arbeit willen. Was es damit auf sich hat, wurde an diesem Wochenende immer wieder demonstriert. »Konkrete Arbeit« ist eine Tätigkeit, der eine Zielsetzung vorausgesetzt wird. Darum geht es doch genau. In dem Moment, wo ich mich frage, um welchen Ziels willen ich tätig bin, muss ich auch fragen, ob ich das Ziel überhaupt will. Habe ich auf die Zielsetzung Einfluss gehabt?

Wenn ein anderer es gesetzt hat, was hat ihn legitimiert? An dieser Frage müsste man alles aufrollen. Da wird dann erst einmal deutlich, dass es ein Recht auf Faulheit tatsächlich gibt, denn so unklar der Begriff »der« Arbeit ist, so klar, jedenfalls als historisch bestimmter Begriff, ist »Faulheit« - richtet sie sich doch heute gegen die kapitalistische, die abstrakte Arbeit. Das ist eine gute Sache! Aber natürlich drängt sie selber nach einer Tätigkeit, und da entsteht wieder die Frage: Welche Tätigkeit? Wo wollen wir soziale Leidenschaft investieren? Sie haben gesagt, in Brasilien wird man niemandem erklären können, dass es falsch sein soll, eine Arbeitsgesellschaft aufzubauen. Wieder dieselbe Unklarheit! Was wird in Brasilien produziert? Kaffee! Diese Länder sind gezwungen, einseitig bestimmte Waren für den Weltmarkt zu produzieren; das hindert sie daran, sich zu industrialisieren. Das heißt doch, diese Länder haben auch ein Problem damit, dass konkrete und abstrakte Arbeit auseinanderfallen. Die sind auch nicht das Subjekt der Zielsetzung ihrer Arbeit, würden es aber gern sein.

Wollen wir etwas anderes als sie? Eine Industrie haben wir schon, uns geht es nun darum, dass mit dieser Industrie etwas Sinnvolles geschehen soll. Mit genau so viel Tätigkeitsaufwand, wie dafür erforderlich. Bei Abkopplung der Frage der Existenzsicherung. Wenn man es so sieht, warum soll es dann so hoffnungslos sein, in die Zukunft zu schauen? das zu propagieren wäre der Weg aus der Arbeitsgesellschaft heraus. Man brauchte nur an frühere, inzwischen leider vergessene Ansätze der Ökobewegung anzuknüpfen. Da hat man längst gefragt, welche Produktion sinnvoll ist und welche nicht. Atomenergie zum Beispiel ist nicht sinnvoll. Sie selber werfen die Frage auf, ob wir für Schulen oder für immer mehr Autos sind. Wenn wir auf dieser Ebene diskutieren, kommen wir auf das Problem der gesellschaftlichen Planung. Denn gesellschaftliche Planung heißt weiter nichts, als dass man bewusst entscheidet, was man aus guten Gründen produzieren will und was nicht. So lösen wir die Arbeitsgesellschaft auf!

NEGT: Sie lösen die Arbeitsgesellschaft in Ihren Gedanken auf, aber nicht in der Realität.

JÄGER: Aber wir müssen uns einer geeigneten Terminologie bedienen.

NEGT: Ich halte das für ziemlich ausgedacht.

FRAU AUS DEM PUBLIKUM: Alles Neue war am Anfang ausgedacht!

NEGT: Sicher! Aber welcher Begriff ist unpräziser als der vom »Recht auf Faulheit« ? Davon halte ich gar nichts! der Arbeitsbegriff, den ich verwende, ist nicht unpräzise. Natürlich habe ich von einer für das Gemeinwesen nützlichen Arbeit gesprochen. Ich hätte auch auf Beziehungsarbeit eingehen können. Für mich ist Arbeit vielfältig und immer konkret kulturell bestimmt. Dass mit der Unterscheidung von abstrakter und konkreter Arbeit in diesem Zusammenhang was anzufangen ist, glaube ich nicht.

MANN AUS DEM PUBLIKUM: es ist auch falsch zitiert!

ANDERER MANN: Herr Negt, wenn Sie mal auf dem Bau oder im Supermarkt arbeiten müssten, dann würden Sie uns endlich verstehen!

NEGT: was würde ich verstehen? Ich verstehe ja das Gefühl, dass Menschen keine Lust haben, entfremde Arbeit zu machen!

DER MANN: Überhaupt keine Arbeit!

NEGT: was? überhaupt keine Arbeit! was machen Sie denn? Sitzen Sie Sie den ganzen Tag vorm Fernseher? das ist eine tolle Emanzipation!

PAOLI: Nun haben wir drei Tage diskutiert, um das am Ende zu hören - entweder arbeiten oder fernsehen! was soll das! Ich kann das nicht fassen!

NEGT: Jetzt glauben Sie wohl, einen großen Triumph über mich zu errungen zu haben!

PAOLI: Gar nicht! Aufregung im Saal

TREUSCH-DIETER: Ich gebe die Diskussion jetzt an den ganzen Saal weiter.

FRAU: was unbedingt diskutiert werden sollte, ist der Unterschied von Arbeitslosigkeit und Erwerbslosigkeit. Wir haben Arbeit ohne Ende! Wir arbeiten zu acht, arbeitslos sind wir nicht, aber erwerbslos. Ich finde es gut, dass wir hier nicht mehr über »Vollbeschäftigung« diskutieren wie vor 10, 15 Jahren. Es hat sich viel verändert. Unverändert ist aber unsere Position zur Grundsicherung. Es geht nach wie vor um die bedarfsorientierte Grundsicherung. Also um Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben. Die wurde von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen-Initiativen mit 1500 Mark plus Warmmiete beziffert.

Es reicht also nicht, nur »Grundsicherung« zu sagen. Schauen wir doch ins neue Rentengesetz! Da ist ein Grundsicherungsrecht eingefügt - auf der Basis der heutigen Sozialhilfe. Und wenn man in die Einzelheiten geht, stellt man fest, dass der zukünftige Grundsicherungsempfänger schlechter gestellt sein wird als der heutige Rentner, der Sozialhilfe bekommt, weil es kein Weihnachtsgeld, Kohlengeld, Renovierungsgeld und so weiter extra gibt wie früher, sondern all das mit einer zu niedrigen Pauschalerhöhung von 15 Prozent auf der Basis einer vorausgegangenen Absenkung von 30 Prozent abgedeckt sein soll. Starker Applaus

ANDERE FRAU: das Recht auf Faulheit hat einen schlechten Klang, weil »Faulheit« ein Begriff der Herrschenden ist. Wir haben ja dieses Arbeitsethos, diese jüdisch-christliche Geschichte, dass wir im Schweiße unseres Angesichts unser Brot verdienen sollen — und ich meine, wir sollten den Müßiggang dagegen setzen. Alfred Sohn-Rethel hat gezeigt, was für einen hohen Stellenwert die Muße bei den alten Griechen hatte. Wenn es dann Tätigkeiten gibt, die Spaß machen, aber auch Tätigkeiten, durch die ich die Lebensmittel gewinne, die ich haben will, dann gehen die Bereiche der Tätigkeit und des Müßiggangs fließend ineinander über. Interessant fand ich auch, was die Moderatorin über Mann und Frau sagte: da wurde mir schlagartig klar, dass der Fluch der Arbeit - als wir aus dem Paradies gejagt wurden - ja letztlich nur den Mann betraf! Lachen, Applaus

ANDERE FRAU: Sehr wichtig finde ich, was Paoli gesagt hat: Wir sind nicht nur passive Agenten eines Systems. Wir haben etwas damit zu tun. Mit dieser Aussage wird Arbeit zu einer Frage des Gewissens! als Arbeitslose muss ich mich fragen: welche Arbeit kann ich überhaupt mit meinem Gewissen vereinbaren? Wenn ich die Stellen-Annoncen in den Zeitungen aufschlage, finde ich selten eine Arbeit, die ich mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Wenn ich eine Ausbildung im Bereich Sozialarbeit oder Krankenpflege hätte -

PAOLI: Sei froh, dass du keine hast!

TALBOT: die Wachstumsbranche! Bloß nicht!

DIE FRAU: »Arbeit, Arbeit, Arbeit«, ich kann das nicht mehr hören. Die einzige Möglichkeit, die wir Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosenhilfeempfänger oder prekär Beschäftigten haben, ist tatsächlich: Erst mal aussteigen aus dem System und diese ganze Scheiße nicht mehr mitmachen; keine Autos mehr produzieren; nicht mehr in AKWs arbeiten; auch nicht in fossilen Kraftwerken... Die zweite Frage ist dann: was kann ich mit meinem Gewissen vereinbaren? Aber wie Meschnig richtig gesagt hat, werden wir am Tun gehindert! denn die Arbeit, die ich machen möchte, bezahlt mir keiner, starker Applaus für die bekomme ich auch keine ABM-Stelle. Es sitzen hier etliche Leute, die seit Jahren versuchen, zu arbeiten, was sie arbeiten wollen, aber keine Finanzierung finden.

Hier steht zum Beispiel Frauke Heerd von »Werkstation« - da sitzt Arno Paul mit seinem Solarboot - hier sitzt Dieter Koschek, der gratis kocht... Wir können nicht auf die Mittel zugreifen, die uns den Aufbau einer Gesellschaft, wie wir sie möchten, ermöglichen würden. Das ist unser Problem. Viele, die auf dem Podium sitzen, sind einfach betriebsblind, müssen sie auch sein, können gar nicht anders, weil sie im System funktionieren - da wird man eben blind! Nur außerhalb der Welt kann ich eine Sicht auf die Welt gewinnen. Deswegen wünsch' ich allen Betriebsblinden, mal runterzusteigen vom hohen Roß, ab in die Arbeitslosigkeit und Selbsterfahrung, das ist wichtiger als jede Wissenschaft. Starker Applaus

BARTSCH: Ich will noch mal zurück zu den ollen Griechen.

STIMMEN: Nein, nein!

TREUSCH-DIETER: wäre es möglich, von den Angesprochenen ein Statement zu haben? Ich selbst bin eben dieser Meinung, dass die Gesellschaft, so wie sie funktioniert, eine Verhinderungsgesellschaft ist und dabei eben massenhaft Ausschuss produziert: in diesem Sinn ist Sozialarbeit tatsächlich eine Wachstumsbranche und auch eine Industrie der Entsorgung; mit Sperrmüllbeseitigung macht man in dieser Gesellschaft das meiste Geld. Ich übertreibe natürlich, aber es steht auch im Vorwort zu Paul Lafargues »Recht auf Faulheit« - das ist mal der Blick auf die Kehrseite unseres produktiven Systems.

FRAU: Man muss wirklich aus dem System raus, und wir von der »Werkstation« versuchen das in unserem Paralleluniversum in Friedrichshain. Wir versuchen einen Kulturstandort für den Bezirk und für die Stadt zu etablieren. Da müssen wir uns einzäunen. Wir schirmen uns von dem Sicherheitsdienst ab, der uns 24 Stunden rund um die Uhr bewacht. So ist das, wenn man mal versucht, außerhalb des Systems zu leben.

MANN: Ich sage was zum Solarboot. Bin seit 1992 erwerbslos und aktiv bei der IG Medien. Das Solarboot steht im Urbanhafen. Wir hatten heute das erste Mal eine bezahlte Fahrt mit einer Bauchtanzgruppe. Es ging über Spree und Landwerkkanal und war sehr spaßig. Vielleicht gibt es hier ja auch Leute - auch auf dem Podium! -, die mal Lust haben, sich frei zu machen, faul auf dem Boot zu treiben, ohne Emission, ohne Lärm. Würde ich auch dem Kanzler empfehlen, bei dem wir immer vorbeifahren. In den letzten Tagen hatten wir die ver.di-Fahne geflaggt, aber ver.di will nicht unser Sponsor sein. Warum denn nicht? Warum haben sie jetzt eine Zehn-Millionen-Kampagne mit irgendwelchen leeren Spots geschaltet? Wir haben gesagt: Macht es doch lieber mit dem Solarboot, schickt es in Berlin und Brandenburg umher, lasst die Erwerbslosen ran, man könnte es hinterher dokumentieren. Also, Phantasie gibt es genug! »Phantasie an die Macht« ist immer noch richtig.

TREUSCH-DIETER: Vielleicht kann das Solarboot am Ufer landen, und wir gehen in dieses Restaurant, wo jemand gratis kocht?

MANN: Nein, natürlich verdiene ich was — aber wenig. Weil wir anders arbeiten. Wir haben keinen Chef. Wir versuchen nicht, profitorientiert zu arbeiten, sondern arbeiten im Kollektiv. Selbstverwaltet. Das sind natürlich ganz andere Voraussetzungen als im kapitalistischen Unternehmen. Unser Eigentum ist vergesellschaftet, auf unsere Löhne einigen wir uns im Konsens - aber ich könnte trotzdem immer noch Sozialhilfe beantragen.

ANDERER MANN: Ja, mach das doch! Ergänzende -

DER MANN: Ich will nichts von dem Scheißstaat. Applaus es ist spannender, selbstverwaltet zu arbeiten! Auch wir müssen zwar unsere Speisen verkaufen, um unsern Lohn zu finanzieren, haben Konkurrenz und alles. Aber es ist der richtige Weg. Und es gibt so viele Möglichkeiten, sich sinnvoll zu betätigen. Auch im sozialpolitischen Bereich. Ich finde übrigens auch die Wissenschaftler notwendig; wenn Oskar Negt vernünftig redet, müssen wir auch vernünftig zuhören.

MESCHNIG: es gibt übrigens auch viele arbeitslose Wissenschaftler. Ich bin einer von denen.

FRAU: Noch mal zum Paralleluniversum, da ich gefragt wurde, warum wir eingezäunt werden. Wir müssen uns einzäunen, damit die Sicherheit nicht verletzt wird. Aber ich denke, eigentlich geht es darum - das ist auch die Kernaussage von »Werkstation« -, Freiraum zu bieten, damit man denken kann. Freiraum, der natürlich gefährlich ist. Wenn man Zeit hat. Freiraum hat, nachdenken kann, auch mal in den Tag hineinlebt, statt zu produzieren, kommen ja vielleicht eigene Gedanken, die dem System wahrscheinlich nicht entsprechen. Das wird nicht von allen gewünscht.

MANN: Ich sammle seit 15 Jahren Information und gebe sie weiter, aber nicht wie die normalen Leute es machen, die sich bei der taz oder bei Jungle World oder im Freitag vermarkten - nichts mit Redaktionsschluss und Artikelkürzen und Anpassung an die Blattlinie! Sondern ich versuche linksradikale Spektren miteinander zu vernetzen. Jetzt mache ich auch bei »sinimedia« mit, das sind Menschen, die das Internet gemeinsam nutzen, um unterdrückte Informationen weiterzugeben. Entstanden ist es in Seattle im Zusammenhang mit der sogenannten Anti-Globalisierungs-Bewegung. Es geht ja nicht gegen »die« Globalisierung, sondern gegen die Globalisierung des Kapitals, während wir natürlich das freie Fließen der Menschen befürworten.

Eine unserer letzten Aktionen war, dass wir die Residenzpflicht-Kampagne der Flüchtlinge weltweit ins Netz gestellt haben. Wir betreiben das selbstausbeuterisch, sind Idealistinnen. Also, jeder und jede kann seinen oder ihren Artikel auf unsere Website setzen. Einfach nur anklicken und alles reinschreiben! Nazischeiß und matriarchale Sachen werden gefiltert und rausgenommen. Gelächter Über die Residenzpflicht-Kampagne hat der »Tagesspiegel« nichts berichtet, die »Berliner Zeitung« auch nicht, es ist richtig totgeschwiegen worden. Natürlich könnten wir Geld gebrauchen. Wir haben einen kostenlosen Raum zur Verfügung, aber Telefon, Internetnutzung und vieles andere will bezahlt sein. Ich würde gern Geld verdienen, statt irgendwie — aber vor allem will ich die Informationen, die ich bekomme, unverfälscht weitergeben!

TREUSCH-DIETER: Ja, die Residenzpflicht basiert auf dem Arbeitsverbot und das nur in Deutschland - da können wir die Kehrseite unseres Problems der Faulheit besichtigen.

FRAU: es gibt seit Jahrzehnten viele Zusammenhänge, in denen Menschen versuchen, anders zu leben, anders zu arbeiten, neue kollektive Arbeitsformen zu entwickeln, in Kommunen miteinander zu leben. Ich nenne mal ein paar Projekte, mit denen wir versuchen, solche Initiativen zu vernetzen. Da gibt es die »Contraste«, Monatszeitung für Selbstorganisation, im Internet unter www.contraste.org da wird regelmäßig berichtet über Kommunen, Kollektivbetriebe, selbstorganisiertes Leben, Arbeiten, Wohnen und was immer. Wir haben auch eine spezielle Kommune-Seite, wo Menschen darüber reden, wie sie in Gruppen gemeinsam leben. An der contraste.org-Seite hängt die Seite »Anders Arbeiten«. Wir arbeiten seit 1999 hier in Berlin zusammen und beschäftigen uns mit Dingen, die dem alternativen Arbeiten entgegenstehen. Arbeitszwang ist ein aktuelles Thema. Wir treffen uns jeden zweiten Dienstag im Monat um 19.30 Uhr im Mehringhof in Kreuzberg. Es gibt darüber hinaus einen Theoriearbeitskreis »Alternative Ökonomie« -

MANN: Ist ja alles schön und gut! Sie sollen sich vernetzen! Aber vielleicht nützt uns ein Sechs-Stunden-Tag für alle! Wer mehr arbeitet, bekommt trotzdem keinen —

FRAU: Eine Welt ohne Geld wäre vollkommen Klasse, weil dieses viele-

MANN: Ich wollte noch was vorstellen -

TREUSCH-DIETER: Sie ist noch nicht fertig!

DIE FRAU: es gibt seit über 20 Jahren die AGSPAK, Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise, wo verschiedene Gruppen sich vernetzen, und ich persönlich arbeite eben im Theoriearbeitskreis »Alternative Ökonomie« mit. Wir führen regelmäßig Seminare durch über Fragen rund ums andere Arbeiten: alle sind herzlich eingeladen, daran teilzunehmen.

DER MANN: Ich vertrete den mexikanischen Indianerrat und arbeite daran, humane Formen von Tourismus zu entwickeln. Ich baue eine kleine Vertretung für den Indianerrat, das sind an die 40 Gruppen von Indianern in Mexiko, die sehr an den Rand gedrängt werden. Zu den Privilegien der Arbeitsgesellschaft gehört dieses dauernde In-den-Urlaub-fah-ren-Können der Leute, die Arbeit haben. In meinem Konzept von humanem Tourismus sollen speziell Arbeitslose die Chance erhalten, ihre Fähigkeiten im Rahmen einer persönlichen Entwicklungshilfe anzubieten.

Es wäre gut, wenn der Tourismus eine andere Facette bekäme. Ich bin ein Umweltflüchtling aus Mexiko City, bin dort umzingelt von Millionen deutscher Pkws, es ist unmöglich, noch zu atmen! auch ich glaube, dass wir die Arbeitslosigkeitsdebatte offensiver führen sollten: gegen den zerstörerischen Charakter der Arbeitswelt. Menschen, die da nicht arbeiten wollen, können als »stille Reserve« eine bessere Alternative setzen.

TREUSCH-DIETER: Danke! Wir gehen zurück aufs Podium, und Oskar Negt hat das Wort.

NEGT: was hier berichtet wurde - alternative Möglichkeiten, andere Arbeit, andere Produkte: das ist es eben, was ich als »zweite Ökonomie« bezeichne. Ich selbst bin in diesem Bereich nicht nur theoretisch tätig, sondern habe eine Alternativschule gegründet — die Glockenturm-Schule, die heute noch existiert. Wir haben versucht, dem entgegenzuwirken, was das öffentliche Schulsystem an den Kindern anrichtet. Ich kenne auch Projekte unter Ärzten, gar nicht nur unter arbeitslosen Ärzten, die sich genossenschaftlich organisieren. Ich könnte noch mehr Zusammenhänge nennen. Ist es nun so wichtig, ob man das, was ihr hier berichtet habt, noch als »Arbeit« bezeichnet oder nicht? Hauptsache, man hält ein Kriterium fest: dass es nicht jene Form der Arbeit ist, die sich in der kapitalistischen Ökonomie durch Waren vermittelt. Ich würde auch eure Tätigkeit im weiteren Sinne noch »Arbeit« nennen, aber wenn ihr meint, das sei ein so diskriminierter Begriff, dass man darauf verzichten soll, bitte, darauf kann ich mich einlassen.

Jedenfalls arbeitet ihr nicht im Sinne der Kapitallogik und der Marktlogik. Ich kenne 15 Arbeitslosen-Projekte allein im Umkreis von Hannover, ökologische Projekte, Kinderläden und so weiter - da wird nicht die Gesellschaft umgestürzt, es sind kleine Schritte, aber es sind doch projektbezogene Alternativen, die auf die Neuorganisation der Gesellschaft zielen. Das ist ziemlich wirksam. Zum Sechs-Stunden-Tag möchte ich anmerken, dass ich seit den 80er Jahren für eine radikale Arbeitszeitverkürzung plädiere. Ich glaube, sie ist unabdingbar für eine Veränderung der Verhältnisse, auch wenn Gewerkschaften immer wieder dazu neigen, sie zu vergessen und lieber für höhere Löhne zu streiten.

TREUSCH-DIETER: Herr Bartsch, die alten Griechen - vielleicht eignet sich das jetzt für ein Schlusswort.

BARTSCH: Weil vorhin eine Dame den griechischen Müßiggang lobte. Einen Nachteil hatte das griechische System: es ließ diese Muße nur Jünglingen aus reichem Hause angedeihen. Ich vertrete denn doch —

FRAU AUS DEM PUBLIKUM: das war das hellenistische und nicht das minoische System!

BARTSCH: Ich meine, dass das Recht auf Muße, so möchte ich es bezeichnen, auch allen anderen zusteht. Und vielleicht finden sich dann in der Muße Gedanken, die uns in eine gerechtere Zukunft führen.

JÄGER: Ich finde die terminologische Frage, ob man von Arbeit redet oder nicht, nicht so unwichtig. Es geht ja nicht nur um Ökonomie. Wie wir die Begriffe setzen, ist eine politische Frage. Es ist die Frage, wie wir verstanden werden. Ist es wirklich sinnvoll, in dem Versuch, diejenigen zu überzeugen, die glauben, Arbeit um der Arbeit willen sei ihr Ding, einerseits zu sagen: »Wir wollen aber ganz bestimmte Arbeiten«, und andererseits Formulierungen zu gebrauchen wie: »der arbeitet«, »der arbeitet nicht«? »Ich arbeite« und Schluss? Damit soll man etwas gesagt haben, obwohl dann niemand darüber nachdenkt, was denn da überhaupt in Arbeit ist? wer so redet, leiht allerdings der »Arbeitsgesellschaft« seine Stimme -

PAOLI: das denke ich auch. Wörter sind nicht unschuldig! Wenn jemand mir von »Beziehungsarbeit« redet, renne ich weg so schnell ich kann, denn wo die Arbeit anfängt, hört die Leidenschaft auf — in der Beziehung, aber auch wenn es ums Produzieren geht. Da ist es besser, auf solche Wörter zu verzichten.

MESCHNIG: Ich fand es interessant, dass die Diskussion, die ums »Recht auf Faulheit« ging, zum Schluss auf ein anderes Problem hinauslief: Ich möchte gern für das bezahlt werden, was ich tue! das ist auch in meinen Augen das Hauptproblem. Ob wir nun faul sein wollen oder arbeiten, notabene etwas Bestimmtes - man stellt uns die Mittel nicht zur Verfügung. Im übrigen frage ich mich aber, wer uns ein »Recht auf Faulheit« denn garantieren sollte? Rechte hat bisher immer der Staat gegeben und geschützt. Wollen wir wieder an den Staat appellieren?

FRAU AUS DEM PUBLIKUM: es reicht doch aus, wenn er aufhört, uns zur Arbeit zu zwingen!

TALBOT: Eben. Deshalb noch einmal: Kein Begriff wirkt dem Tableau der Verwirrungen so gut entgegen wie der des »Rechts auf Faulheit«. Faulheit heißt auf alle Fälle, dass man nicht »arbeiten wollen« muss. Ich kann dann tätig sein, wie ich will, kann aber auch faul sein. Es ist der einzig wirklich hilfreiche Begriff, weil wir sonst sofort mit Begriffsklärungen beschäftigt sind, alles Wichtige verwischt wird und wir uns wieder nur das Loblied der alternativen Arbeit anhören müssen.

Auch wer nicht arbeiten will, muss essen dürfen! das als gesetzliche Regelung gegen den derzeitigen Zwangsarbeitsparagraphen durchsetzen, dafür meinetwegen »arbeiten« im Sinne der politischen Arbeit - darum geht es. Und ich freue mich, wenn Oskar Negt nicht nur hier, sondern auch in der IG Metall und anderen Gewerkschaftsorganen, wo er gern gelesen wird, für das bedingungslose Existenzgeld plädiert. Übrigens eine Position, die ihn doch auch mit Herrn Gorz verbindet.

TREUSCH-DIETER: Wir haben gehört, dass er für die Grundsicherung plädiert, um den Angstkitt in dieser Gesellschaft zu erübrigen. Er hat allerdings auch darauf bestanden, dass von Bedingungslosigkeit unter den herrschenden Bedingungen nicht die Rede sein kann! da schlägt er eine realistische Haltung vor. Wir haben es nun einmal auch mit der »ersten Ökonomie« zu tun, wo uns die Globalisierung erfaßt, während wir gleichzeitig lokale Existenzen und als solche resistent sind. Ich selber wollte noch auf die nicht beantwortete Frage eingehen, was denn in der Faulheit Tieferes abgewehrt wird: in dem Begriff der Arbeit, wie er affirmiert wird — ob als abstrakte Arbeit, der eine konkrete entgegensteht, oder als Erwerbs- gleich Lohnarbeit et cetera —, darin steckt die prometheische Scham, von der Günter anders gesprochen hat.

Alles, was nicht gemacht, nicht hergestellt, nicht produziert ist, ist schäm- und ekelbesetzt, erinnert an eine Herkunft aus dem Weiblichen, das eben erst in dieser Gesellschaft geformt wird, für sich aber als formlos gilt. Und wie wird es geformt? Hin auf Norm- und Leistungsbegriffe, die dann übrigens auch auf den Begriff der Faulheit übergreifen können. Ich wollte darauf hinaus, dass im Begriff der Labor, der Arbeit, die Labiae, die Lippen stecken - der Begriff der Arbeit selbst beseitigt das, wovon er behauptet, dass er es hervorbrächte, nämlich die mündige Existenz.

Es ist sicher, dass die mündige Existenz auf diese Weise nicht hervorgebracht wird. Eine Pointe wollte ich noch loswerden: wie mir kürzlich ein Freund mailte, hat Kant vermutet, die Paviane aus Brasilien würden deshalb nicht sprechen, weil sie dann nicht arbeiten müssen. Ich sage also: Verbünden wir uns mit den Pavianen! und sprechen eine Sprache, die, wie gesagt, erst noch erfunden werden muss. Wir sind schon dabei. Applaus


"Recht auf Faulheit - Zukunft der Nichtarbeit"
(Beiträge eines Themenwochenendes der Volksbühne vom 18 bis 20. Mai 2001)
von Michael Jäger, Andrea Koschwitz und Gerburg Treusch-Dieter (Hsg.)
ist als Buch erhältlich: Edition Freitag, ISBN 3-936252-00-9

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