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ernfrage des bGE - Recht auf Faulheit

Vortrag von Sylvia Zeller und René Talbot bei der Projektgruppe bGE der SPD Tempelhof-Schöneberg, Berlin am 26.11.2009

Auch wenn es überraschen mag, aber das Recht auf Faulheit ist seit ca. 130 Jahren eine offene Forderung in der Arbeiterbewegung. 1883 veröffentlichte Paul Lafargue eine Streitschrift [vollständig im Internet veröffentlicht] mit diesem Titel. Paul Lafargue war durch seine internationale und insbesondere französische Aufbauarbeit für die sozialistische Arbeiterbewegung eine bemerkenswerte Figur in der damaligen Zeit. Sie brachte ihn in die Nähe von Karl Marx, dessen Tochter Laura er heiratete. Der in der Junirevolution 1848 aufgestellten Forderung eines Rechts auf Leben, das leider sehr schnell zu einem Recht auf Arbeit transformiert wurde, stellte Lafargue in seinem Buch das Recht auf Faulheit entgegen. Er hatte erkannt, dass das Recht auf Arbeit eigentlich eher eine reaktionäre Forderung ist.

Um zu erklären, warum es eine reaktionäre Forderung ist, zitieren wir aus einer leicht überarbeiteten Proklamation des Jahrhunderts der Parasiten, das wir am 18.5.2001 in der Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz verkündet haben:

Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Sozialhilfeempfängers in dritter Generation.

Ja zum Glück scheinen sich inzwischen die Sozialhilfeempfänger zu vermehren. Denn nur Menschen, die bereit sind, nicht mehr zu produzieren, sondern nur zu konsumieren, können noch für gesellschaftlichen Fortschritt sorgen. Deshalb verkünden wir hier und heute:

Das Jahrhundert der Parasiten

Was - der Parasiten? Der sog. "Schädlinge des Volkskörpers"?
Wie kannst du nur diesen Begriff verwenden, der den Nazis zum Vorwand ihres Gaskammermordens gedient hat?

Na eben, das zeigt, wie unter der Naziperspektive Menschen zu Parasiten erklärt, nur als Objekte des Exterminismus, also der Vernichtung, gesehen wurden.
Wir hingegen proklamieren:
So wie die Produktivität sich entwickelt hat, ist nur noch durch Konsumenten, die keine Tauschwerte mehr herstellen, zu gewährleisten, das der dramatisch angeschwollene Kapitalkörper, dieses Monster an toter Arbeit, das sonst sich, und uns alle mit, an seiner eigenen Schwerkraft erschlägt, noch überleben kann.

Wenn das 19te Jahrhundert das der Bürger war, das 20te das der Arbeiterbewegung, so ist das 21te Jahrhundert das der Parasiten.

Der Parasiten, weil nur die Konsumption eines zunehmenden und unproduktiven Teils der Gesellschaft die Produktions-Sehnsüchte des arbeitsgeilen anderen Teils der Gesellschaft noch befriedigen kann. Selbstverständlich geht es um eine Demokratisierung des Parasitären, also um Menschen mit geringem Einkommen, die sich durchfüttern lassen, die Reichen hatten damit schließlich noch nie Probleme.

Deshalb ist die Abschaffung der Zwangsarbeitsparagraphen, die mit Strafarbeit die Arbeitsbereitschaft erpressen sollen, nur der erste Schritt, eine erste Verwirklichung des Rechts auf Faulheit, das in den nächsten Schritten komfortabel ausgestattet werden wird.

Wie das? Du spinnt wohl,
mögen manche wie eine rückblickende Frau Lot sagen:

Weil die Avantgarde der Parasiten die Befreiung von der Angst befördert, die der an seiner toten Arbeit sich selbst erschlagende Kapitalkörper verbreitet. Solche Horrorvisionen produziert er z.B. schon: Bio- und Gentechnik zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen für beinahe jeden Geldbeutel. Glaubt etwa eine einzige Person hier im Raum, die würden nicht genutzt werden, es könne ein Gleichgewicht des Schreckens auf zwischenmenschlicher Ebene geben? Im Zustand steigender Angst würde sich nur derjenige noch einen Sieg ausmalen, der zuerst zum Massenmörder wird.

Dagegen steht das Programm der Entängstigung durch die Parasiten, durch glückliche Arbeitslose. So wird miese Arbeit nur noch gegen Spitzenlöhne geleistet, die Arbeit wird von der Quälerei befreit, denn immer vertreibt der Stachel des Rechts auf Faulheit, die Angst ohne Überlebensmittel sitzen zu bleiben.

So wird der gesellschaftliche Kriegszustand erstmals beendet, wenn endlich den Parasiten das bedingungslose Recht auf Faulheit zugestanden wird und sich damit die Gesellschaft zivilisiert.

Kannst du deine Argumentation mal klarer formulieren?

Es sind drei Argumente, die für das Jahrhundert der Parasiten sprechen:
a) das moralische Argument b) das ökonomische Argument bei entsprechender Interessenlage c) das emotionale bzw. emanzipatorische Argument.

A das moralische Argument:
Das Existenzrecht des Menschen, unabhängig von seinem Beitrag zum gesellschaftlichen Reichtum muß verwirklicht sein. Erst dadurch, daß das auch für die anerkannt wird, die aus welchen Gründen auch immer, nicht dazu beitragen wollen, beginnt leben lassen ohne vernichtende Hintergedanken. Die Grundlage für moralisches Handeln und zivilisierten Umgang wird erst durch das Recht auf Faulheit eingelöst.

B das ökonomische Argument
Wenn die Lohn und Gehaltsabhängigen, in marxistischer Terminologie die Arbeiterklasse, feststellen können, daß staatlich geregelt weniger die Arbeitslosigkeit, statt dessen die Arbeit subventioniert wird, dann ist offensichtlich eine Ideologie der Arbeitsverherrlichung am Werke, die heißt: Es wird ein Teil der erarbeiteten Werte nur dafür verwendet, daß mehr gearbeitet wird.

Dagegen muß die Arbeiterklasse ein Interesse daran haben, durch Verknappung der angebotenen Arbeitskraft am Markt den Preis der Ware Arbeit zu steigern. Deshalb ist das Bündnis mit den Arbeitsunwilligen, ja die Transferleistung an sie, im unmittelbaren ökonomischen Interesse der Arbeiterklasse. Nur so läßt sich der Reallohn steigern und zwar inklusive steigender Sozialabgabenanteile für die arbeitsunwilligen Parasiten.

Dieses ökonomische Argument ist selbstverständlich klassengebunden an die Interessen der Lohn- und Gehaltsabhängigen, Lohn- und Gehaltsabhängige sowohl als Eingestellte als auch Freigestellte.

C das emotionale bzw. emanzipatorische Argument:
"Wenn wir verdienen wollen, geliebt zu werden, anstatt anzuwidern, wenn wir herbeigesehnt werden wollen, müssen wir auf die Frage der Macht und ihrer Ausübung antworten. Wir müssen eine Ausübung der Macht erfinden, die nicht Angst macht. Das wäre das Neue."
sagt Michel Foucault 1979

Ein würdiges Einkommen ohne arbeiten wollen zu müssen, ist die Voraussetzung dafür, Angst existentiell zu überwinden, die Angst, daß man wertlos und dem Verhungern preisgegeben sei, wenn man beim Arbeitsreigen, aus welchen Gründen auch immer, nicht mitmacht.
Damit werden die Grundlagen geschaffen, daß Macht nicht mehr auf Angst und dem Bedienen von Ressentiments beruht, das Strafregime untergeht.

Es wird die Bedingung geschaffen, daß eigene Lebensentwürfe und Selbstbestimmung, also Emanzipation, sich verwirklichen kann.

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An der Frage des Konsums, nicht der Produktion, offenbart sich das tatsächliche Problem: Ob oder ob nicht die "Faulen" durch Transferleistungen unterstützt werden sollen, die, die nicht arbeiten wollen, zumindest nicht zu den angebotenen Bedingungen.

Eine Verschiebung des Blicks von der Produktions- zur Konsumptionsweise würde die Augen dafür öffnen, unter welchem Diktat der protestantischen Arbeitsethik die Moderne stand: Die Arbeit sollte "gleichmäßig" verteilt sein, das sich krümmen, ein- und unterordnen, die Mühsal, Pflicht und Disziplinierung – das ist die Hoffnung derer, die Gleichheit in "gemeinschaftlichem Eigentum" fordern, eben nicht die Förderung der Vielfalt unterschiedlichster Konsumentenwünsche, Moden, Luxusbedürfnisse und Eigenwilligkeiten. An diesem Punkt möchten wir betonen: selbstverständlich liegt uns an der gewaltfreien Umverteilung "nach unten", einem "Programm" gegen den konservativen Erhalt der Reichtums- bzw. Armutsverhältnisse. Aber anstatt Rechte zu nehmen, Eigentum zu beschlagnahmen, wollen wir dies dadurch erreichen, daß wir den Wert des in toter Arbeit geronnenen Kapitals verringern, indem durch klassische gewerkschaftliche Auseinandersetzung in Solidarität mit den "Parasiten" die Löhne incl. zunehmender Sozialabgabenanteile gesteigert werden, der Marktwert der Lohnarbeit durch Verknappung des Arbeitsangebots in die Höhe getrieben wird. Der erste Schritt ist dabei das Recht auf Faulheit zu verwirklichen, die Paragraphen abzuschaffen, in denen die Zwangsarbeit festgeschrieben ist. Wir plädieren für die Akzeptanz der Arbeitsunlust als stärkstes Instrument zur Verknappung des Angebots an Arbeitskraft, denn insbesondere das Ressentiment gegen Faule zerstört die Solidarität.

Sozialdemokratische Politik kann nur das Gegenteil zum Ziel haben: Es muss die Möglichkeit gegeben sein, "Nein" zu sagen, eine verantwortliche Entscheidung treffen zu können, um als ziviler Mensch Persönlichkeitsrechte zu haben und nicht nur zum Befehlsempfänger degradiert zu werden. Das Recht wirkungsvoll „Nein“ sagen zu können, ist der Kern aller Freiheit und Selbstbestimmung, notwendige Bedingung für menschliche Würde und Autonomie. Falls es jemandem im Raum noch nicht klar sein sollte, es geht hier um die Einlösung der Versprechen der Artikel 1 und 2 unseres Grundgesetzes.

Mit der Realisierung des Rechts auf Faulheit kommt es historisch zu einem qualitativen Sprung und zu einer Verschiebung des Verhältnisses des Staats zu seinen Bürgern: vordergründig verliert der Staat nur ein paternalistisches Privileg, grundsätzlich allerdings wird der Bürger als Rechtssubjekt drastisch gestärkt.

Es liegt die Frage nahe, warum Artikel 1 und 2 des GG nicht längst eingelöst sind. Vordergründig scheint es ein Problem zu sein, dass dann, wenn alle faul sein dürften, niemand mehr faul sein könnte, weil keine für´s Überleben notwendige Arbeit mehr geleistet würde.

Diese Überlegung ist nur dann zutreffend, wenn unterstellt wird, dass niemand von sich aus arbeiten will. Wäre es so, dann könnte im allgemeinen, wie gesellschaftlichen Interesse nur sein, so schnell wie möglich so viel Arbeit wie möglich zu beseitigen. Jeder Forderung nach Arbeit, Arbeit, Arbeit wäre die Grundlage entzogen, sie wäre absurd. Ganz im Gegenteil dazu soll sie aber helfen, Wahlen zu gewinnen. Der Widerspruch, der sich hier zeigt, ist nur erklärbar durch die tiefe Ambivalenz gegenüber der als Bedrohung in sich selbst verspürten Faulheit (im Kameradendeutsch „der innere Schweinehund“) bzw. durch das Ressentiment der Faulheit anderen gegenüber, die als faul auf der Haut liegend gewähnt werden, während man selber schuftet – also Arbeit selber ganz und gar nicht als lustbringend empfindet. Diese Ambivalenz ist ein Widerschein des inneren Widerspruch der Arbeit gegenüber: wenn sie nur ein Übel wäre, müsste sie nur gemieden werden. Wenn hingegen Arbeit eine Lust wäre, könnte das Ausgangsargument (nicht alle können faul sein) gar nicht angebracht werden.

Eine in der Zeitschrift BRAND EINS 9/2009 veröffentlichte Umfrage macht diesen Zusammenhang besonders sinnfällig, Zitat:
Anteil der Menschen, der versichert, auch mit einem bedingungslosen Grundeinkommen weiterhin arbeiten zu gehen, 90 Prozent.
Anteil der Menschen, der glaubt, andere würden durch ein bedingungsloses Grundeinkommen aufhören zu arbeiten, 80 Prozent.

Die Antwort auf die Frage, warum das bGE eine sozialdemokratische Grundforderung ist, liegt in der Beantwortung der Frage, warum das Recht auf Faulheit Kernfrage eines bBE ist.

Und zwar geht es um den Unterschied zwischen militärischen Gesellschaftsformen, bzw. Befehlsstrukturen und zivilen Gesellschaftsformen. Kennzeichen des Militärischen ist die Unterwerfung unter die unhinterfragbare Autorität bei nahezu Negierung der eigene Wünsche. Logisch einher geht im Militärischen, dass es keine Entscheidung und damit keine Verantwortung für Entscheidungen gibt. Letztlich sind auch die Befehlshaber in einer apparateartigen Maschinenlogik gefangen, um Mitgefühl und moralische Bedenken gegen mörderisches Handeln und eigene Todesängste auszuschalten.

Dagegen kennt das Zivile keine Befehle, sondern Verträge und daraus resultierende, einverständlich eingegangene Konsequenzen. Eine zivile Gesellschaft konzipiert sogar den Staat als Resultat eines Gesellschaftsvertrags, auch wenn die darin Hineingeborenen eigentlich nicht zugestimmt haben. Auf alle Fälle gibt es dabei handelnde Subjekte, die nach jeweils eigenen Maßstäben Rechte und Pflichten verhandeln, und zum jeweils eigenen Vorteil vereinbaren. Verträge können nur funktionieren, wenn das Machtgefälle zwischen den Vertragspartnern nicht all zu groß ist. Obwohl Verträge nur dazu da sind, gehalten zu werden, könnte der Stärkere sonst sehr wohl die vertraglichen Vereinbarungen mißachten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Ein ziviles Anliegen ist also, auch die Durchsetzung von vertraglichen Vereinbarungen zu gewährleisten, weil dadurch vertragliche Vereinbarungen insgesamt gestärkt werden. Ein starkes Argument für einen Gesellschaftsvertrag mit einer Monopolisierung der Gewalt.

Von Vertragsfreiheit kann aber dann nicht mehr die Rede sein, wenn einer der Vertragspartner in einer Notlage ist. Er kann nicht mehr „Nein“ zu diktierten Bedingungen sagen. Ein solches unziviles Machtgefälle ist in Lohnarbeit nahezu konstituierend festzustellen. Beim Arbeitsvertrag hat der Lohn- und Gehaltsabhängige nur seine Arbeitskraft zu verkaufen, hingegen ist der Eigentümer von Produktionsmitteln privilegiert und hat als Vermögen die Produktionsmittel zusätzlich zu seiner Arbeitskraft. Insofern macht es Sinn, dass Marx diese Ungleichheit als Klassenverhältnis benannt hat. Es sind nur dem Schein nach Vertragsverhältnisse. Tatsächlich handelt es sich um eine Befehlsstruktur mit nötigendem Charakter.

Mit dem Recht auf Faulheit bzw. einen bGE wird Vertragfreiheit eigentlich erst hergestellt. Die Möglichkeit „Nein“ zu sagen, ohne mit einem besonderen Übel bedroht zu sein, ist notwendige Bedingung dafür.

Wenn bei einem bGE von Bedingungslosigkeit die Rede ist, um was geht es dabei? Wir meinen, die wesentliche Forderung ist, dass Arbeitsbereitschaft keine Bedingung für monetäre Transferleistungen sein darf und die wird auch am meisten umkämpft sein. Die Nicht-Offenlegung der persönlichen, insbesondere finanziellen Verhältnisse ist demgegenüber keine so basale Frage. Sie ist nicht notwendig für das Recht auf Faulheit, wohl aber für das bGE.

Das Recht auf Faulheit scheint aber mit dem Tauschprinzip und dem Leistungsprinzip zu brechen. Dies trifft allerdings nur für eine individualisierte Betrachtung zu. Die individuelle Option, nicht zu angebotenen Bedingungen arbeiten wollen zu müssen, könnte aber sehr wohl auch als Versicherungsleistung der Lohn- und Gehaltsabhängigen untereinander konzipiert werden.

In solch einem Konzept wird der Staat gewissermaßen rausgekürzt, er hat nur die Funktion eines „Notars“ der Versicherungsgemeinschaft der Lohn- und Gehaltsabhängigen. Resultat dieser Überlegungen ist, dass das Recht auf Faulheit bzw. bGE zu einem Mittel der Klassenauseinandersetzung wird, ja in das Reich der Freiheit jenseits des Reichs der Notwendigkeit hineinreicht und damit antiautoritäre Sozialismus-Utopien praktisch werden lässt.

Vorteilhafterweise wirkt sich diese Konzeption für die Lohnabhängigen höchstwahrscheinlich günstig auf die Preisbildung am Arbeitsmarkt aus, denn je höher das bGE ist, um so mehr Angebot wird dem Markt entzogen und damit steigt der Wert der Arbeitskraft als Ware, zumindest aber wird unangenehme Arbeit relativ teurer. Und bei etwas, was Freude bereitet, kann man vielleicht auch am ehesten auf eine hohe Entlohnung verzichten.

An dieser Stelle möchten wir betonen, warum wir diesen Vortrag hier halten. Hier, als Teil sozialdemokratischen Engagements. Die erste Internationale hat 1872 die Arbeiterbewegung, die Emanzipationsbewegung der Unterdrückten und Beleidigten, in Anarchisten und Sozialisten/Kommunisten gespalten. Tendenziell wollten die Anarchisten das Gewaltmonopol beseitigen, die Kommunisten es erobern, vorgeblich, um es später zu beseitigen. Beide nahmen für sich in Anspruch, die Freiheit des Einzelnen sei die Bedingung für die Befreiung aller. Wie steht es dabei aber um die Freiheit der derzeit Herrschenden, mit anderen Worten, welche gewaltsamen Mittel ist man bereit, im Namen der Freiheit anzuwenden? Die revolutionäre Antwort ist revolutionäre Gewalt. Nur sie scheint eine rasche Veränderung zu gewährleisten und den Hass auf die Unterdrücker zu befriedigen.

Hingegen scheuten die „Ängstlichen“ einen radikalen Umsturz der Verhältnisse. Sie akzeptierten die politischen Regeln der bürgerlichen Gesellschaft, um innerhalb dieses Rahmens Spielräume evolutionär zu nutzen. (Innerhalb der Sozialdemokratie brachen mit diesem Konzept z. B. Noske.)

Unser Konzept vom Recht auf Faulheit schließt bündig an diesen evolutionären Weg an, weil nicht die Expropriation der Expropriateure, die Ausbeutung der Ausbeuter, verfolgt wird, sondern nur eine Steigerung der Tarife, zu denen die Lohn- und Gehaltsabhängigen insgesamt ihre Arbeitskraft verkaufen. Die dafür entscheidende neue Qualität ist die Beseitigung des Zwangs, arbeiten wollen zu müssen. Statt über den Umweg einer Enteignung der Produktionsmittelbesitzer soll damit direkt das Reich der Freiheit, insbesondere für Lohn- und Gehaltsabhängige, seien sie freigestellt oder eingestellt, angesteuert werden.

Damit schließen wir an an Karl Kautsky. Für ihn führte das Recht auf Arbeit direkt „ins Arbeitshaus“. Revolutionär und „Grundlage jeder ernsthaften Sozialreform“ sei allein die Proklamation des „Rechts auf Faulheit“, auf Freizeit und Genuß, „auf freie Betätigung der körperlichen und geistigen Kräfte in Spiel und Übung, in Kunst und Wissenschaft“. (Karl Kautsky, Das Recht auf Arbeit. In: Die Neue Zeit. Revue des geistigen und öffentlichen Lebens, 2. Jg. 1884, Heft 7, S. 303; gefunden von Wolfgang Engler, „Bürger, ohne Arbeit“)

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